Darf ich Sie zu einem Dialog einladen? Schreiben Sie mir doch, welcher der folgenden Begriffe Ihnen für Ihr Leben erstrebenswert erscheint und vor allem, weshalb: intolerant, starr, unduldsam, unerbitterlich, unflexibel, unnachgiebig, rigide, borniert, engstirnig, halsstarrig, verstockt, dogmatisch, verbohrt.
Diese Worte finden sich im virtuellen Duden als Synonyme zu 'orthodox'. Nicht selten gilt doch gerade ein 'orthodoxer Lebenswandel' als vorbildlich und besonders erstrebenswert. In Anbetracht der obigen Begriffe ist das erstaunlich.
Besonders um die Zeit des Jahreswechsels lassen sich divers Vorhaben für ein erfülltes Leben beschließen, die Handlungsweisen, Einstellungen, Denkweisen in eine neue Richtung lenken mögen. Eine schöne Perspektive.
Welches Wort ist Ihnen dabei eine Stütze?
Spiel
Soll sich auch bei Ihnen in diesem neuen Jahr alles ändern, alles neu und endlich gut werden? Vielleicht müssen Sie jetzt auch gerade herzhaft lachen. Keineswegs aus Pessimismus.
Zu meiner Volksschulzeit gab es noch für besondere Leistungen einen 'römischen Einser'. Ich war stolz und habe mich jedes Mal sehr darüber gefreut, wenn ich wieder dieses Zeichen in meinem Heft gefunden habe - alles richtig gemacht. Mehr als 'Sehr gut'!
Übertragen wir diese Haltung auf das Leben, wird es mit der Zeit ziemlich eintönig, wenn wir versuchen, ausschließlich alles richtig zu machen. Ein orthodoxes Leben, in der Hoffnung, irgendjemand möge uns mit einem 'Sehr gut' oder mehr belohnen.
Sind Sie schon einmal Menschen begegnet, die bis an die Zähne mit exakten Plänen, genauen Regeln und Ausnahmefreiheit bewaffnet sind und dabei weder Leichtigkeit noch Lebendigkeit kennen? Etwas moralinsauer kommen sie daher - zugegeben, ich kenne diese Seite auch in mir. Und ich weiß auch, wo sie mich hinführt. Originalität und Freude treffe ich dort nie an ... Auf diese Art und Weise ändert sich nichts, bleibt eher alles beim Alten. Zwanghaft Reproduziertes macht das Herz fahl. Es fühlt sich an wie ein Leben in der Gefriertruhe - erstarrtes Un-Glück sozusagen.
Regelverstoß
Unlängst spielte ich mit meiner Familie ein Wissensspiel. Es war mir ein Vergnügen, wenn es im Team mit meiner Nichte gelungen war, eine Antwort unerlaubt von einer Karte abzulesen, um damit ein paar Punkte mehr zu sammeln. Ein herrlich kindlicher Schabernack - wir zwei amüsierten uns köstlich.
'Aber, wenn das alle machen!' - hören Sie auch den Einspruch in sich? Wenn zur Regel wird, dass wir permanent Richtwerte über Bord werfen, führen sich sowohl Regeln wie Werte ad absurdum und das Dasein bekommt anarchische Züge, die in Willkür und Beliebigkeit führen. Ich gebe Ihnen Recht. Doch so ist es nicht gemeint.
Wie jetzt?
Wie wäre es, wenn Regeln UND Ausnahmen, Verbindlichkeit UND Freiheit gelten? Ob das Glück dann nicht gerne wieder auftaut, lebendig wird?
Zugegeben, mit Vorhersagbarkeit hat das wenig zu tun. Auf diese Weise wird auch weder alles anders oder neu, noch endlich ausschließlich gut. Es hebt unser Bedürfnis nach Sicherheit ein wenig aus den Angeln. Wir haben dann wohl weniger in der Hand, aber vermutlich mehr im Herzen - ein ungewöhnlicher, alternativer, eigenwilliger, unkonventioneller Weg. Eine Kunst zu leben, die Stolpern als Teil des Gehens akzeptiert, Unverwechselbarkeit groß schreibt, Menschen in den Arm nimmt, wie sie sind, nicht wie sie sein sollen, Irren erlaubt, zum Weitergehen ermutigt.
Sie suchen nach dem geeigneten Wort dafür?
Unorthodox
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