Es kommt nicht selten vor, dass etwas durch besonders intensive Nutzung in Mitleidenschaft gezogen wird. Beim Lieblingsstofftier der Kinder hängt das rechte Ohr schon ziemlich lose vom Herumtragen, der Autoreifen zeigt Risse von mehrmaligen unliebsamen Randstein-Berührungen, Schuhe verlieren die Form, weil das Ausziehen ohne Öffnen der Bänder bequemer ist. Das Leben hinterlässt Spuren.
Nun stellt sich die Frage, wie wir mit diesen Spuren umgehen? Wir könnten uns zu einer ‚Leidens-genossenschaft’ zusammenschließen oder nach Alternativen mit lebenswerter Perspektive Ausschau halten!
Ein kleiner Abstand von großer Bedeutung
Bleiben wir einen Moment bei dem Ausdruck ‚Mitleidenschaft’. Weinen, jammern, klagen sei uns von Herzen gegönnt. Es reinigt innerlich. Wenn wir jedoch im Mitleiden mit uns selbst oder anderen hängen bleiben, schafft das nur marginal Erleichterung. Ein paar Beispiele:
Unvorstellbare Konsequenzen drohten, wenn wir aufgrund des Hungers in der Welt aus falsch verstandener Solidarität beginnen die eigene Ernährung einzustellen, statt nach Ursachen zu suchen und unterstützend initiativ zu werden. Stellen Sie sich eine Ärztin vor, die so sehr Ihren Schmerz mitleidet, dass sie nicht mehr im Stande ist, hilfreich einzugreifen. Denken Sie an einen Feuerwehrmann, der sich vom Ausmaß des Brandes dermaßen erschüttert zeigt, dass es ihn lähmt, zu Gegenmaßen zu schreiten.
Natürlich gibt es Extrem- und Ausnahmesituationen, unbestritten. Ohnmacht und Hilflosigkeit fragen nicht um Erlaubnis, ob sie auftauchen dürfen. Doch wenn sich das Mitfühlen ins Mitleiden versenkt, schadet es auf Dauer allen Beteiligten. Das Leid der einen wird nicht gelindert, das Potenzial der anderen kommt nicht zur Entfaltung. Ein wenig erstrebenswertes Ziel für beide Seiten.
Was aber geschieht, wenn wir ‚mit Leidenschaft’ leben und einander auf Augenhöhe begegnen? Nicht alles Leiden wird damit sofort aus der Welt geschafft, aber leichter geklärt, in der Möglichkeit einer ehrlichen, belebenden Begegnung. Welche Kraft liegt in so einer Entschiedenheit! Ein gutes Fundament, auf dem Entwicklung möglich ist.
Es können vertraute Räume entstehen, in denen wir uns wie blind bewegen. Probieren Sie aus, wie Sie sich mit geschlossenen Augen in Ihrem ‚ver-trauten Heim’ zurechtfinden.
… heiter Raum um Raum durchschreiten
Hermann Hesse geht in seinem Gedicht ‚Stufen’ in dem sprachlichen Bild über Räume mit vier Wänden hinaus. Wie gut, wenn sich beim ‚Durchschreiten’ unseres Lebens ein Gefühl von Zuhause-Sein in uns selbst auftut. Es wird sich fort spinnen im Dialog mit Menschen, Natur, Kunst, Inspiration, letztlich allem, was uns umgibt. Eine bodenständige Beziehung inmitten von Himmel und Erde.
Je mehr wir uns selbst ‚blind vertrauen’, umso leidenschaftlicher werden wir einander begegnen, vielleicht sogar immer wieder neu.
Welche Freude, wenn wir Begabungen an uns selbst entdecken oder intensivieren, neue Seiten an einem Menschen erkennen, die ‚Welt erobern’ in allem Respekt, aus Freude am Neuen, Neugier am Unbekannten.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine leidenschaftliche Sommerzeit!
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