Seien wir ehrlich: Wer leidet schon wirklich gerne? Freude, Leichtigkeit, Lachen suchen wir uns schon viel eher aus als die Begeg- nung mit Schmerz.
Viktor E. Frankl postuliert, dass eine der wesentlichsten Fähigkeiten des Menschen jene der Leidensfähigkeit ist.
Was bedeutet das im Klartext? Soll nach so manchen Jahren innerer Entbehrung eine Zeit des Leidens, des sich selbst Knebelns und Unterdrückens ausgerufen werden?
So kann es wohl nicht sein!
Wir leben in Beziehungen – partnerschaftlichen, beruflichen, freizeitbezogenen. Immer als die, die wir sind oder für die wir uns halten. Wie wunderbar, wenn wir Menschen begegnen, die uns annehmen, wie wir sind, die in uns ein wunderbares Gegenüber erkennen.
Zu solchen Menschen fühlen wir uns hingezogen. Jedem und jeder von uns ist so eine Begegnung zu wünschen. In solcher Umgebung lässt es sich wachsen, aufblühen, gedeihen.
Ein Wendepunkt kann sich dann zeigen, wenn unser geliebtes Gegenüber – egal ob PartnerIn, KollegIn, FreundIn – für kurze oder längere Zeit nicht mehr so aufmerksam ist, Zuwendung für sich braucht, aus uns nicht bekannten Gründen.
Diese Distanz tut weh. Dieser Schmerz soll weg!
Kennen Sie die Gefühle, die Fragen, die sich dann in Ihnen groß machen? Sie könnten so klingen: „Habe ich etwas falsch gemacht? So war meine letzte Aussage doch gar nicht gemeint! Eigentlich war er|sie schon eine Weile ein wenig eigenartig, hat sich zunehmend zurückgezogen. Wenn das so ist, wenn er|sie mich auf einmal aus unerfindlichen Gründen nicht mehr mag, wenn die Beziehung zwischen uns so fragil ist, dass ich aus heiterem Himmel auf einmal nicht mehr genug bin, dann …“
Der Schmerz ist immer noch da.
Wir ziehen – voreilige – Schlüsse
Beziehungsschlüsse nämlich.
Wenn wir die Verantwortung (die sich wie Schuld anfühlt) für unsere eigenen Bedürfnisse (namentlich: Ich will geliebt werden und habe Angst, nicht mehr geliebt zu sein) in die Schuhe anderer schieben, bringt uns das in Distanz – zu uns selbst und anderen. Die eigenen Gedanken, Erklärungsmodelle geben uns Recht, unter Umständen auch der Freundeskreis: „So kann man doch wirklich nicht …! So ein kindisches Verhalten!“
Wir schimpfen „fröhlich“ und selbstgerecht vor uns hin und merken nicht, dass wir innerlich in der Sandkiste sitzen und weinen, weil wir immer noch oder wieder damit hadern, als Kleine zu wenig bekommen zu haben.
Dieses „Zu Wenig“ – an Aufmerksamkeit, Zuwendung, Ermutigung, Beachtung, Wertschätzung, letztlich Liebe – meinen wir, von anderen fordern zu können. Wir tun das nicht direkt, das wäre zu auffällig. Wir bieten dafür selbst Aufmerksamkeit, Zuwendung etc. an, doch nicht bedin- gungslos – wir wollen am Ende der Rechnung das gewünschte Ergebnis, sonst war der ganze Aufwand umsonst.
Diese Be-Rechnung geht nie auf. Wir beginnen zu toben und lassen eine neue Chance, uns selbst zu lieben, ziehen.
Schluss womit?
Es sei denn, wir halten inne und lassen uns die Frage durchs Herz gehen, ob wir jemals den Kinder-Schmerz durchtrauert haben. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Dieser Schmerz kennt keine Jahre, nur das Bedürfnis, angenommen zu werden.
Wie wäre es, Schluss zu machen damit, die Ursache für unser Leid im Gegenüber zu suchen, sondern es in ungestillten Bedürfnissen, verlachten Sehnsüchten, übersehener Trauer, zurückgewiesenen Hoffnungen zu finden. Um dann zu erkennen, dass wir wieder hand- lungsfähig, lebendig und frei sind. Leidens- und liebesfähig!
Eine zeitlang ist das ein Schmerzweg – der Blick in unaufgeräumte Kammern ist selten beglückend. Die Tür hinter unverrichteten Dinge wieder zu schließen jedoch auch nicht.
Ein Neubeginn …
… könnte darin bestehen, den Irrglauben, ich muss für Liebe zuerst leisten, zu entlarven und mit dem Beschuldigen, Verletzen, Absondern, sich Überheben aufzuhören.
… liegt vermutlich darin, mich um das, was ich vom Gegenüber fordere, selbst anzunehmen.
… sich selbst und dem Gegenüber das So-Sein, die Unzulänglichkeiten nachzusehen, sie nicht als mutwillige Boshaftigkeit zu deuten und den Perfektionismus sein zu lassen.
Der Schmerz wird nach und nach abfallen.
Wir können neue Wege gehen.
Wege in befreiendes Glück
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